Drei eiskalte Nobodys aus der Talentschmiede

Das sind die Geschichten, so heißt es immer wieder, die eben nur der Sport schreibt. Eben noch auf dem Sofa, plötzlich im Scheinwerferlicht der LIQUI-MOLY-Handball-Bundesliga. Mit Jarnes Faust (17), Ben-Connar Battermann (18) und Luca Schwormstede (20) feierten drei Zebras aus der Talentschmiede des Nachwuchsleistungszentrums ihr Bundesliga-Debüt. Frisch Auf möchte man sagen. Dabei trug der Gegner aus Göppingen genau diesen Namen. Der Traum vom Profihandball hat für drei Nobodys neue Nahrung bekommen.
 
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht kam das Trio bereits kurz vor dem Aufwärmprogramm in die Halle. Gänsehautmomente bei den Spielern. Fragende Blicke unter den ersten Besuchern. Kennst du den? Beim späteren Einlaufen in die verdunkelte Arena reihte sich das Trio mit den Rückennummern 29, 31 und 32 auf ihren noch namenlosen Trikots hinter Nikola Bilyk und vor Leon Ciudad ein. Verlaufen unmöglich. Es folgte ein 77-Tore-Spektakel, der der THW mit 42:35 Toren gewann. Das Publikum feierte die Nachwuchs-Handballer mit Standing Ovations.
 
Jarnes Faust stand gleich in der Startaufstellung des THW. Er lief auf Göppingens Marcel Schiller zu, wurde vom Nationalspieler umarmt. „Der Trainer hat mich um kurz vor 12 angerufen und gesagt, dass ich zum Treffpunkt kommen möchte“, verriet Jarnes Faust. Schließlich war Sven Ehrig kurzfristig ausgefallen. Von Zurückhaltung beim Linkshänder, der das Trikot mit der Nummer 32 trug, keine Spur. „Ich wollte einfach mein Ding machen“, schmunzelte er. Und so fasst sich Jarnes Faust früh ein Herz, zog an Schiller vorbei, sah die Lücke auf der rechten Kreisposition, Josip Sarac kam zu spät und – wumms – zappelte der erste Wurf im Netz. Diese 11. Spielminute war das Signal zum Aufbruch. Der Jugendnationalspieler jubelte wie ein Großer und die Arena feierte den 17-Jährigen gleich als einen neuen Helden. Seit September 2020 ist „Jarnold“, wie er gerufen wird, in Kiel auf dem Campus zu Hause. Trainieren und schlafen in der Nähe der Profis. Wie Kreisläufer Hendrik Pekeler erblickte Jarnes Faust in Itzehoe das Licht der Welt und wuchs im beschaulichen Krempermoor auf. Das Handball-ABC erlernte der inzwischen 1,82 m große Athlet bei der HSG Kremperheide/Münsterdorf. Zurzeit besucht er die 11. Klasse der Gemeinschaftsschule Friedrichsort mit Oberstufe. Nach dem Göppingen-Spiel standen sieben Tore aus sieben Versuchen im Arbeitsnachweis der Profis. Zwischendrin bei den Auszeiten reichte ihm Stamm-Rechtsaußen Niklas Ekberg Handtuch und Getränk. Ein schönes Bild.
 
Bei Ben-Connar Battermann (Nr. 29) und Luca Schwormstede (Nr. 31) war der Einsatz etwas langfristiger – zumindest einen Tag früher – angelegt. „Der Trainer hat mich gefragt, ob ich auch Linksaußen spielen kann, auch viel“, erzählte Connar Battermann. Natürlich konnte er. „Ich habe noch ein bisschen geübt“, schmunzelte er. Geboren in Lemgo kam er nach dem familienbedingten Umzug über die SG Frisia Leck Süderlügum 2018 zum THW Kiel. Schon vor dem Göppingen-Spiel hat er einige Male mit den Profis trainiert. „Immer, wenn man jemand gebraucht wurde.“ Weil der junge Mann eben so viel länger als Jarnes Faust über den Einsatz Bescheid wusste, war viel Zeit zum Nachdenken. „Ich habe das Spiel schon ein paar Mal im Kopf durchgespielt“, verriet Connar Battermann. Dann tauchte er mit der Nummer 29 hinein in die neue (Handball-) Welt.

Seine erste große Szene in der Wunderino-Arena kam für den 1,95 m-Mann bei einem Gegenstoß kurz vor dem Halbzeitpfiff. Frech klaute er Göppingen den Ball und machte sich auf und davon. Die Zuschauer wollten helfen, raunten lautstark mit und hatten schon zum Torjubel durchgeladen. Kein Göppinger weit und breit in der Nähe des Kielers. „Ich wollte den Ball einfach schnell wieder loswerden, habe aber, glaube ich, zu lange nachgedacht“, meinte der 18-Jährige. Göppingens Torhüter Daniel Rebmann parierte den Wurf. Kurz vor dem Ende kam noch ein zweiter Fehlwurf hinzu, sodass das erste Bundesligator vorerst aufgeschoben ist. Nicht aufgeschoben ist dagegen das Abitur, das in diesem Sommer aktuell auf der Gemeinschaftsschule Friedrichsort gebaut wird.
 
Luca Schwormstede – schon Spieler der U23 – durfte dagegen am Ende gleich zweimal jubeln. Zwei Rückraumkracher schlugen bei Göppingens Torhüter Rebmann ein. Aus dem linken Rückraum, die oft als die Königsposition bezeichnet wird. Über einen Spielzug war das nicht abgesprochen. „Ich habe das einfach geworfen“, grinste Luca Schwormstede und riss nach den Treffern die Arme in die Höhe. Dabei hatte Trainer Filip Jicha ihm vor dem Spiel nur gesagt, „du kämpfst in der Abwehr“. Er kam dann meist für Leon Ciudad ins Spiel, durfte entweder neben Pavel Horak oder Patrick Wiencek im Innenblock decken. „Beide haben mich richtig gut mitgenommen, das war alles Gänsehaut pur“, gestand der 20-Jährige. Die ersten Minuten auf dem Feld seien unfassbar gewesen. Er misst stattliche 2,02 m, kam schon 2016 zum THW Kiel. Geboren in Itzehoe, das Handballspielen erlernte er in frühen Kindertagen bei der SG Kollmar-Neuendorf, ehe es über den MTV Herzhorn nach Kiel auf den Campus ging. Im Januar trainierte der Steinburger, der Mathematik und Physik auf Lehramt studiert, erstmals mit den Profis. Nach der Partie musste Luca Schwormstede feststellen, dass das Adrenalin noch lange im Körper verweilte. Auf dem Telefon fanden sich viele Glückwunschnachrichten. All das musste erst einmal verarbeitet werden. „Ich war noch Stunden danach geflasht und einfach überwältigt“, gestand Luca Schwormstede.

Jarnes Faust (Nr. 32)

Ben-Connar Battermann (Nr. 29)

Luca Schwormstede (Nr. 31) und Patrick Wiencek

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